Die Stadtbibliothek: Architektur, Ort, Geschichte
Für mein Sachbuch habe ich mehrere Jahre lang öffentliche Zentralbibliotheken in Deutschland und den USA untersucht. Dank eines Stipendiums der VolkswagenStiftung konnte ich dafür auch in den USA forschen, Bibliotheken besuchen, Archive durchforsten und Interviews führen. Artikel zu manchen Themen sind schon veröffentlicht und jetzt entsteht das Buch.
Worum geht es?
Bibliotheken werden immer interessanter und lebendiger. Sie sind die öffentlichen Orte der Zukunft. Neu gebaute Bibliotheken sollen allen zugänglich sein und sehr unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden. Lesen, sich treffen, lernen, kostenlos das Internet benutzen, einen 3-D-Druck erstellen, Samen für das Gemüsebeet auf dem Balkon ausleihen – all das bieten Stadtbibliotheken heute.
In Deutschland fangen wir eigentlich gerade erst an, in größerem Umfang neue und innovative Stadtbibliotheken zu bauen. Öffentliche Bibliotheken mussten sich nämlich für die meiste Zeit ihrer Geschichte mit räumlichen Kompromissen und Zwischennutzungen abfinden. Außerdem haftete ihnen lange das Image an, eine Wohlfahrtseinrichtung zu sein. Von Anfang an standen die öffentlichen Bibliotheken im Schatten der akademischen Landes- und Universitätsbibliotheken. Aber seit es Neubauten wie die Stadtbibliothek in Stuttgart gibt, erfahren öffentliche Bibliotheksgebäude mehr Aufmerksamkeit. Bibliotheksplaner und Bibliothekare orientieren sich an Skandinavien und den USA, denn dort gibt es einige der innovativsten öffentlichen Bibliotheken und sie haben einen höheren Stellenwert als in Deutschland.
Im Gegensatz zu den USA, wo es schon im Jahr 1920 fast 6000 eigenständige öffentliche Bibliotheken gab, können wir bei uns nicht von einen Bauboom sprechen. In dem neuen „Hype“ um öffentliche Bibliotheken sehe ich deshalb eine wichtige Gelegenheit, auf die fast 130-jährige Geschichte ihrer Architektur in Deutschland zurückzublicken. Denn die demokratischen Prozesse, das Geschichtsbewusstsein, der Zeitgeist und die Vorgeschichte der Standorte haben bei der Errichtung, Renovierung und Erweiterung von Zentralbibliotheken eine wichtige Rolle gespielt. Hier müssen wir hinschauen, wenn wir die öffentlichen Bibliotheken bewahren, beleben und weiterentwickeln wollen. Denn während die Mischnutzung im 20. Jahrhundert ein ungünstiger Kompromiss war, ist sie heute eine Chance, nachhaltig zu bauen, Gebäude kreativ zu nutzen und die Innenstädte zu sozialen Treffpunkten, zu Orten der Weiterbildung, des Lesens und Arbeitens werden zu lassen.
Was sind meine Fallbeispiele?
Für das Forschungsprojekt habe ich drei amerikanische und drei deutsche Zentralbibliotheken untersucht. Dabei haben mich Gebäude interessiert, die eine lange und wechselhafte Geschichte haben. Das sind die Central Library Cambridge (1888/1967/2009); die Volksbücherei und Lesehalle Görlitz (1907/2009); die Stadtbücherei Hannover (1931/1956/1978); die Seattle Central Library (1906/1960/2004); das Harold Washington Library Center in Chicago (1897/1991) und die Stadtbücherei Münster (1993).
Diese Bibliotheken dienen als Fallbeispiele, weil sie größtenteils Neubauten mit einer längeren Vorgeschichte sind. Ihre Vorgängerbauten wurden entweder im Krieg zerstört oder absichtlich abgerissen. Manche der Gebäude wurden wiederum nicht abgerissen, sondern saniert, und erhielten Anbauten. Diese Beispiele erlauben eine zeitlich umfassende Interpretation und ermöglichen es mir, in der Geschichte Querverbindungen zu ziehen. Somit wird insgesamt ein größerer Zeitraum – von den 1880er-Jahren bis heute – erörtert. Im Großen und Ganzen beschäftigt mich die Frage, wie der Umgang mit Architektur unser Geschichtsbild prägt, und umgekehrt, wie der Umgang mit Geschichte unser Architekturbild prägt.
Welche Quellen und Methoden benutze ich?
Um die Bedeutung der Bibliotheksarchitektur für die Stadtgesellschaft zu erforschen, habe ich in Bibliotheksarchiven und Stadtarchiven in Deutschland und den USA gearbeitet. Dort habe ich die Jahresberichte der Bibliotheken, Sitzungsprotokolle von öffentlichen Anhörungen, Versammlungen und politischen Debatten untersucht. Weitere Hinweise auf öffentliche Debatten zur Architektur der Bibliothek fand ich in Sammlungen von Flugblättern, Leserbriefen, Beschwerden und Bürgerinitiativen zu Bibliotheksbauten. Wichtige Quellen, die in Bibliotheken zugänglich sind, waren außerdem deutsche und amerikanische Tageszeitungen, Bibliothekszeitschriften und Architekturzeitschriften. Daneben habe ich Interviews mit Bibliothekarinnen, Bibliotheksdirektoren und Jurymitgliedern geführt.
Mehr über dieses Projekt finden Sie auch im Interview für L.I.S.A., das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung.